Das Clemens Sels Museum Neuss besitzt eine besonders qualitätvolle und vielfältige Sammlung. Den Auftakt bilden die Gemälde des Mittelalters und der Niederländer des 17. Jahrhunderts. Auch die Nazarener und Präraffaeliten sind mit wichtigen Arbeiten vertreten. Vor allem die Werke der Symbolisten bilden eine in Deutschland einzigartige Sammlung. Darüber hinaus umfasst der Bestand bedeutende Stücke des Rheinischen Expressionismus und der Naiven Kunst. Den Abschluss bilden zeitgenössische Arbeiten der Farbmalerei.
Im Mittelalter ist künstlerisches Schaffen nur im religiösen Kontext denkbar. Kirchen und Klöster sind die Hauptauftraggeber und nehmen Einfluss auf die Bildinhalte.
Die Künstler selbst verstehen sich zumeist als ausführende Kunsthandwerker. Sie sind in Zünften organisiert und bleiben in der Regel anonym. Oft reisen sie zu verschiedenen Kunstzentren, übernehmen dort Anregungen und schaffen Gemeinschaftswerke, so dass Datierungen und Zuschreibungen schwierig sein können. Für einen mittelalterlichen Maler oder Schnitzer steht die Selbstverwirklichung oder die Schaffung eines individuellen Kunstwerks nicht im Vordergrund. Da viele Menschen nicht lesen können, übernehmen ihre Bildwerke die Aufgabe von Texten. Gleichwohl sind Grundkenntnisse der Bibel zum Verständnis der Bilder und Figuren vorauszusetzen. Die oftmals komplexe Symbolsprache umfasst Farbgebung, Darstellungsart und Einzelmotive. Sie kann in der Regel nur mit umfangreichen Kenntnissen entschlüsselt werden, was den besonderen Reiz der Bildwerke des Mittelalters ausmacht.
Die Malerei der Niederländer erreicht im 17. Jahrhundert ihren Höhepunkt und wird in die Kunst der südlichen und der nördlichen Provinzen unterteilt.
Während der Süden, heute Belgien und Luxemburg, von dem berühmten Flamen Peter Paul Rubens und seiner Werkstatt in Antwerpen bestimmt wird, sind im holländischen Norden zahlreiche Künstlerpersönlichkeiten tätig. Die beiden wichtigsten Maler sind Rembrandt van Rijn in Amsterdam und Jan Vermeer in Delft. Ihr Schaffen fällt in die Epoche des „Goldenen Zeitalters“, des „Gouden Eeuw“, in der die Niederlande eine Blütezeit in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Kunst erleben. Diesem Höhepunkt in der Geschichte der Republik liegt ihr Aufstieg zur weltumspannenden See- und Handelsmacht zugrunde. Die Kunstproduktion wird zum Spiegel des gesellschaftlichen und kulturellen Wandels, der die Niederlande zum Vorreiter und zur Weltmacht werden lässt. Das Bürgertum steigt in die Oberschicht auf, und auch einfachen Leuten wird es möglich, ihr Geld in Kunst zu investieren und so ihren neuen gesellschaftlichen Status zur Schau zu stellen. Es entsteht eine beispiellose Fülle an Kunstwerken, von denen heute leider nur noch ein kleiner Teil erhalten ist. Entsprechend den Vorlieben der bürgerlichen Auftraggeber bildet sich ein gesteigerter Realismus heraus und Porträts, Landschaften, Alltagsdarstellungen und Stillleben gewinnen gegenüber den traditionellen sakralen Bildthemen an Bedeutung. Infolge der Konzentration auf einzelne Sujets entwickeln sich neue Bildgattungen wie Seestücke oder das Trompe-l’œil, eine Dreidimensionalität vortäuschende Malerei.
Aus dem 1809 von Friedrich Overbeck und Franz Pforr in Wien gegründeten Lukasbund entsteht im darauffolgenden Jahr in Rom eine ständig wachsende Gemeinschaft von Künstlern, die später als Nazarener bezeichnet werden.
Ihre Werke kennzeichnen eine idealisierende figürliche Darstellung, die Betonung der Linie und eine durchscheinend aufgetragene Lokalfarbigkeit. Die Mitglieder dieses Bundes streben nach dem bereits in der Frühromantik beschworenen Ideal des Künstlers, der seine Werke aus tiefer religiöser Empfindung schafft. Ihre formalen Vorbilder finden sie in der altdeutschen Malerei, der Kunst Albrecht Dürers und der italienischen Frührenaissance. Die Verehrung dieser Meister geht so weit, dass sich die jungen Künstler nach ihrer Art kleiden und frisieren. Neben der angestrebten Erneuerung der Kunst aus dem Geist des Christentums ist ihr Kunst- und Lebensstil nicht zuletzt national-patriotisch motiviert. Der damals vorherrschende Klassizismus ist zu dieser Zeit auch das ästhetische Ideal der Napoleonischen Ära, also das der französischen Fremdherrschaft. Diese an der Antike orientierte Stilrichtung widerspricht in den Augen der Nazarener den redlichen deutschen Charaktertugenden. Mit einem die eigene Vergangenheit romantisch verklärenden Nationalbewusstsein und der Förderung durch König Ludwig I. von Bayern gewinnen die Nazarener in den 1820er-Jahren an Einfluss und dominieren für fast zwei Jahrzehnte die großen Kunstakademien in München, Düsseldorf und Berlin.
1848 gründen Dante Gabriel Rossetti, John Everett Millais und William Holman Hunt gemeinsam mit vier weiteren Künstlerkollegen in London die präraffaelitische Bruderschaft.
1848 wird die Präraffaelitische Bruderschaft in London gegründet. Diese orientiert sich an der Kunst vor Raffael und damit an der Malerei des Mittelalters und der italienischen Kunst des 14. und frühen 15. Jahrhunderts. Mit ihrer symbolisch aufgeladenen Farbe, dem eingehenden Naturstudium und den christlichen, literarischen und sozialkritischen Bildinhalten rebellieren die Künstler gegen die klassizistischen Lehrinhalte der Royal Academy und streben nach einer Ästhetisierung aller Lebensbereiche. Obwohl sich die Gruppe bereits 1853 auflöst, gilt sie bis heute als die damals einflussreichste Künstlervereinigung in Großbritannien. Die Präraffaeliten rücken durch ihren Hang zur Mystik, die Verbildlichung von Emotionen eingekleidet in literarische Vorlagen sowie durch die Verwendung allegorischer Hinweise in unmittelbare Nähe zu den Symbolisten.
Bedeutende Werke des internationalen Symbolismus bilden das Herzstück der Sammlung.
Die wichtigsten französischen Vertreter wie Gustave Moreau, Odilon Redon und Pierre Puvis de Chavannes sind ebenso vertreten wie der jüngere Maurice Denis und die Künstlergruppe der Nabis. Zu den sogenannten „Propheten der Moderne" gehören auch Künstler wie Pierre Bonnard, Édouard Vuillard und Aristide Maillol, die einen zentralen Stellenwert im Bestand einnehmen. Mit ausgewählten Stücken von James Ensor, Fernand Khnopff oder Johan Thorn Prikker sind auch die bedeutendsten Künstler des belgischen und niederländischen Symbolismus vertreten. Gustave Moreau gilt als „Vater des Symbolismus“, der nach einer Abkehr vom natürlichen Erscheinungsbild strebt. Als wegweisender Lehrer an der École des Beaux-Arts in Paris wird er nicht müde, den Schülern seine revolutionären Ansichten über den Umgang mit der Farbe zu vermitteln: „Eines merken Sie sich gut: Man muss die Farbe denken, eine Vorstellung von ihr haben! Wenn Sie keine Vorstellungskraft haben, werden Sie niemals eine schöne Farbe erzielen. [… ] Die Farbe muss gedacht, geträumt, imaginiert werden.“ Mit seinen bemerkenswerten „Farbphantasien“ nimmt Moreau die Befreiung der Farbe im 20. Jahrhundert vorweg. Die symbolistischen Künstler verfolgen keinen gemeinsamen Stil. Vielmehr vereint sie das Streben, ihre Kunst durch den Eigenwert der Farbe und durch die Sprache der Symbole zum Spiegel der Seele und des Unterbewussten, von Träumen und Visionen werden zu lassen.
Wichtige Werke des Rheinischen Expressionismus bilden einen Sammlungsschwerpunkt des Clemens Sels Museums Neuss. Das Rheinland bildet nach Dresden, Berlin und München ein weiteres Zentrum des Expressionismus in Deutschland.
Nachdem sich die Künstler der „Brücke“ und des „Blauen Reiter“ 1905 und 1911 zusammengeschlossen haben, formieren sich die Rheinischen Expressionisten 1913 in Bonn. Auf Mackes Initiative werden 16 progressive Künstler*innen in der „Ausstellung Rheinischer Expressionisten“ in der Bonner Buch- und Kunsthandlung Friedrich Cohen erstmals repräsentativ zusammengeführt. Obwohl die Maler weder ein einheitlicher Stil noch ein gemeinsames Programm eint, gehen die Namensgebung und das Auftreten als Gruppe auf die Künstler selbst zurück. Es sind rund 60 Arbeiten von August Macke, Heinrich Campendonk, Max Ernst, Helmuth Macke, Heinrich Nauen oder auch Paul Adolf Seehaus zu sehen, die zu den maßgeblichen Protagonisten des Rheinischen Expressionismus zählen und in der Sammlung des Clemens Sels Museums Neuss mit charakteristischen Werken vertreten sind. Auf ihrer Suche nach neuen bildnerischen Ausdrucksmöglichkeiten sind die Künstler im Rheinland durch eine expressive Bildsprache und eine für Deutschland auffällige Nähe zur französischen Kunst verbunden, die vor allem zu fauvistischen Tendenzen im Schaffen einiger Künstler führt. Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs bringt das vitale Kunstgeschehen im Rheinland schließlich zum Erliegen.
Das Clemens Sels Museum Neuss besitzt eine hochwertige und umfangreiche Sammlung von authentisch Naiver Kunst, die überwiegend in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstanden ist.
Die Bildwerke der Autodidakten, deren individueller Stil sich frei von akademischen Konventionen entwickelt, bieten eine ursprüngliche, oftmals visionäre Sicht auf die Lebenswelt. In den Fokus der Kunstkritik gerät die Naive Kunst am Ende des 19. Jahrhunderts. Es ist die Malerei Henri Rousseaus, des malenden Zöllners, die das große Interesse der Avantgarde weckt. Viele Künstler huldigen dem Primitivismus und sehen in seinen einfachen und ursprünglichen Darstellungsformen eine Quelle der Inspiration. Auch Künstler wie Pablo Picasso und Paul Gauguin werden auf Rousseau aufmerksam und begeistern sich für die Ausdruckskraft seiner Bilder. Als erster Sammler engagiert sich der deutsche Galerist Wilhelm Uhde in Frankreich für die Laienmalerei. Die von ihm geförderten „Maler des Heiligen Herzens“ wie Louis Vivin, Séraphine Louis, André Bauchant und Camille Bombois würdigt er 1928 in der gleichnamigen Pariser Ausstellung. In Deutschland gilt Adalbert Trillhaase als der „deutsche Rousseau“, der 1919 im Alter von 60 Jahren und unter dem Einfluss seines Freundes Otto Pankok zu malen beginnt und große Bedeutung im Kreis der Künstler des „Jungen Rheinland“ erlangt. Auch polnische Naive sind mit zahlreichen Bildern und Skulpturen in der Sammlung vertreten.
Das Clemens Sels Museum Neuss besitzt eine umfangreiche Sammlung zur Farbmalerei, die seit Ende der 1980er-Jahre aufgebaut wird.
Der Bestand umfasst Gemälde und Papierarbeiten von internationalen Künstlern wie Marcia Hafif und Phil Sims ebenso wie von wichtigen Deutschen wie Katharina Grosse, Dieter Villinger, Markus Linnenbrink, Paul Schwer und Camill Leberer. Die Sammlung wird regelmäßig durch Ankäufe und Schenkungen erweitert. Aufgrund der Qualität steht diesem Bereich im Erdgeschoss des Museums eine eigene Ausstellungsetage zur Verfügung. Neben der wechselnden Präsentation der eigenen Bestände werden namhafte Künstler eingeladen, ein ortsspezifisches Konzept für den 1975 errichteten Museumsbau zu entwickeln. Auf jeweils neue und konsequente Weise suchen die Künstler die Auseinandersetzung mit den spezifischen Räumlichkeiten des Hauses, um allein durch den Einsatz von Farbe der Schwere der Betonarchitektur, der Massivität des Treppenhauses und der Abgeschlossenheit des Gesamtbaus zugunsten von Leichtigkeit, Flüchtigkeit und Offenheit entgegenzuwirken. Durch das wohlkalkulierte Zusammenspiel von Kunst und Architektur entstehen imaginäre Farbräume, die die Wahrnehmung und das Empfinden nachhaltig für die Kraft und vielfältigen Wirkungsweisen von Farbe sensibilisieren.